Kulinarische Momentaufnahmen
Wednesday, 7. December 2011 - von Ariane

Hedonistin

Update Mai 2013: Alle Interviews, die hier im Blog zu lesen sind, habe ich für das erscheinende Buch in der Caramelized-App (Juni 2013) und im Hädecke Verlag (Herbst 2013) komplett überarbeitet und ergänzt. Hier im Blog sind sie noch in der alten Version zu lesen.

Ariane: Wie bist Du auf die Idee gekommen, Deinen Foodblog »Low Budget Cooking« ins Leben zu rufen und wieso hast Du Dich entschieden, unter dem Pseudonym »Hedonistin« zu schreiben?

Hedonistin: Ach, das Bloggen an sich fing eigentlich schon vor Jahrzehnten an. Ich kochte mich damals viele geerbte Kochzeitschriftenjahrgänge rauf und runter. Aber wenn das Kind wünschte, »Mach doch mal wieder dieses Dings, was es vorletzten Sonntag gab, das war sooo lecker«, dann ging das meistens nicht, weil ich das Rezept nicht wieder fand. Wie sollte das unglückliche Kind so jemals eine Lieblingsspeise finden? Also fing ich an, Listen zu führen – Datum, Rezeptname, Quelle. Das klappte gut und ich zog´s durch, bis das Kind aus dem »Lieblingsdies und Lieblingsdas«-Alter raus war. Als vor einigen Jahren das Gespräch darauf kam, behauptete ich in Erinnerung an diese Listen, dass ich mich in den fünf Jahren – und vermutlich auch danach – beim Kochen kein einziges Mal wiederholt habe, außer auf ausdrücklichen Wunsch. Aber weil die Listen schon lang Altpapier waren, konnt ich´s nicht beweisen. Doof. Wenig später entdeckte ich das Medium Blog und dachte, das ist es – wie geschaffen für eine Kochliste oder ein Kochtagebuch, das ewig hält.
Das Pseudonym – ich wollte einen Namen, der deutlich macht, dass der Blog trotz des Themas Arme-Leute-Küche keine trübsinnige Verzichtsveranstaltung ist. Aber viel Gedanken hab ich mir nicht gemacht – als ich anfing, hielt ich das Bloggen noch für eine ziemlich autistische Sache, die allenfalls zufällig LeserInnen findet.

Ariane: Wie genau definierst Du Hedonismus in Bezug auf das Essen?

Hedonistin: Ganz simpel: Lust am Genuss. Und das ist keine Frage des Geldes, nicht mal eine von Kochkenntnissen oder -fähigkeiten. Bloß eine von genügend innerer Gelassenheit, um einzelne Momente, Eindrücke und Empfindungen im Wortsinne auszukosten.

Ariane: Sind Deine Leser nicht neugierig auf Deine wahre Identität? Wie oft wirst Du darauf angesprochen oder anders gefragt, gab es auch Momente, in denen Du Dein wahres Ich gerne preisgegeben hättest?

Hedonisten: Ganz selten mal wird in Mails nach meinem Vornamen gefragt. Anonymität wird im Internet meinem Eindruck nach ganz selbstverständlich akzeptiert. Und umgekehrt war ich noch nie in Versuchung, diese Anonymität aufzugeben: So kann ich einfach drauflos schreiben und, wenn mir danach ist, auch Persönliches erzählen, ohne die innere Zensurbehörde einzuschalten.

Ariane: Gibt es eine kulinarische Kindheitserinnerung, die Dich besonders geprägt hat und die man als Hinweis auf Deine Leidenschaften, Schreiben und Essen, deuten kann?

Hedonisten: Erstaunlicherweise – angesichts meiner heutigen Abneigung  gegen Nüsse aller Art – hat sich ein Mandelpudding als prägend erwiesen. Den bekam ich eines Tages bei einer Nachbarin, die mich ruhigstellen wollte, während sie mit meiner Mutter quatschte. Bei uns zuhaus gab´s immer nur Vanille- oder Schokopudding. Überhaupt war das Repertoire eng begrenzt, obwohl meine Mutter leidenschaftlich gern kochte – aber sie war mit einem Mann verheiratet, der viel auf die »Was der Bauer nicht kennt …« – Regel gab.
Und dieser nachbarliche Mandelpudding, ein schlichtes Tütenprodukt, war eine Art Erweckungserlebnis für mich: Es gibt noch eine andere Essenswelt als die, die ich kenne, größer, bunter und superlecker. Ich will mehr davon!
Würde die Hedonistin im wahren Leben die gleichen Dinge schreiben, oder schlüpft sie beim Bloggen in eine Art Rolle?
Das Bloggen ist Teil meines wahren Lebens. Ich verbiege mich nicht und was ich erzähle, ist nicht fiktional. Aber natürlich, seit LBC LeserInnen hat, ist die Frage der Außenwirkung schon im Hinterkopfpräsent – wie bei jeder anderen sozialen Rolle, die ich einnehme. Insofern gibt´s vielleicht ein bisschen… sagen wir: Vorzüge unterstreichendes Make-up, aber keine verfremdenden Masken.

Ariane: Der erste Post bei »Low Budget Cooking« – was für ein Gefühl war das für Dich und wie hat sich Dein Blog seitdem gewandelt? Welche Auswirkungen hatte das Bloggen auf Dein eigenes Kochen und Essverhalten?

Hedonistin: Der erste Eintrag war ziemlich aufregend: neues Medium, unbekannte Software, hoffentlich mach ich nix falsch, und wie wird das aussehen? Das vorgegebene Layout hat mich ganz kirre gemacht – ich bin ein bisschen ein Kontrollfreak – und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich durchschaut hatte, wie ich das auch bis in Details hinein nach meinen Vorstellungen (um-)gestalten kann.
Anfangs hatte ich auch keine Fotos, aber dann entdeckte ich andere Blogs und die meisten waren bebildert. Das gefiel mir sehr gut, das wollte ich auch. Insofern war die bedeutendste Auswirkung des Foodblogs, dass ich das Fotografieren als Hobby für mich entdeckt habe. Mein Kochverhalten hat der Blog eigentlich nicht beeinflusst – aber das Essen: Ich hab mich an bestenfalls lauwarme Mahlzeiten gewöhnt, schließlich muss erst mal fotografiert werden, und das dauert, wenn Frau blutige Anfängerin ist.
Welches sind Deine liebsten gebloggten Rezepte und unter welchen Aspekten wählst Du sie für Deinen Blog aus?
Ist das die Frage nach dem Lieblingsrezept? Ich habe keins, eher Phasen, wo ich bestimmte Sachen lieber esse als andere, aber mehr auf Zutaten bezogen, nicht auf Zubereitungen. Gebloggte Lieblingsrezepte wären solche, wo es mir gelänge, mit Fotos und Text wirklich Appetit zu machen, eine Ahnung von Geschmack, Duft, Aroma rüberzubringen, den Wunsch zu wecken, in den Monitor zu kriechen und das jetzt sofort zu essen – aber da klaffen Anspruch und Können, vor allem fotografisch, noch zu weit auseinander. Die Auswahl für den Blog ist einfach: ohne wenigstens halbwegs akzeptables  Foto kein Eintrag. Ausnahmen bestätigen diese Regel.

Ariane: Gibt es einen besonderen Grund für den englischen Namen Deines Blogs? Wie kamst Du auf die Idee den Aspekt Kochen mit begrenztem Budget als Thema aufzugreifen?

Hedonistin: Das Thema war klar – das ist eben mein Kochalltag. Vom Namen her war meine erste Idee »Arme-Leute-Küche«, aber das klang mir zu negativ, zu sehr nach Verzicht und nach Wassersuppe mit Kartoffelschalen. Ich wollte einen relativ kurzen, klaren und neutralen Namen – dass ich überhaupt einen brauchte, merkte ich erst während der Registrierungsprozedur, da war keine Zeit für langes Brainstorming. Als mir LBC in den Sinn kam, tippte ich das hin – und gedachte, es beizeiten gegen einen hübscheren Namenauszutauschen. Aber wie das mit Provisorien so ist …

Ariane: In Deutschland achten die Verbraucher zuerst auf den Preis, danach erst wird die Qualität der Lebensmittel in Betracht gezogen. Unterscheidet sich die Mentalität der Kunden in Österreich von der deutschen?

Hedonisten: Das ist doch keine Mentalitätsfrage. Dass, wie so gern argumentiert wird, heute im Durchschnitt 12% des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufgewendet werden, während es etwa in den frühen 50ern noch üppige 40% waren, oder immer noch 25% in den frühen 70ern, ist ja bloß die halbe Wahrheit: Schließlich ist die Differenz nicht frei verfügbar – denn andere Kosten, etwa fürs Wohnen, sind deutlich gestiegen, andere Ausgaben sind dazugekommen. Wer hatte in der Nachkriegsdekade ein Auto? Damals war das Luxus, heute ist´s normaler Lebensstandard. Entsprechend hat sich der Anteil der Fixkosten verschoben. Und von dem, was nach Abzug der Fixkosten bleibt, ist der Bereich Lebensmittel eben jener, wo noch am ehesten gespart werden kann. Und das ist nicht nur in den untersten Einkommensschichten oft genug nötig. Wenn die Miete eine satte Erhöhung erfährt, Versicherungen teurer werden, Energiekosten steigen, was auch immer: Sollen die Leute dann ihren allgemeinen Lebensstandard senken – wofür es bei Niedrigsteinkommen eh so gut wie keinen Spielraum gibt -, um sich im Zweifel weiterhin die Bio-Spaghetti um fünffünfzig das Kilo leisten zu können? Wer dafür gern das Zeitungsabo kündigt, nicht mehr ins Kino geht oder vom Auto aufs Fahrrad umsteigt: für diejenigen passt das dann. Aber als allgemeine moralische Forderung halte ich das für ziemlich arrogant und auch als Ausdruck von kulinarischem Kulturpessimismus ist´s unangebracht. Denn ungeachtet aller Probleme, die die (agrar-)industrielle Lebensmittelproduktion in Kombination mit weltweitem Handel verursacht – und es ist mir bewusst, dass das gewaltige Probleme sind -, bleibt doch das Faktum, dass es hierzulande noch nie ein so buntes, vielfältiges und, ja, im Schnitt auch qualitativ ausgezeichnetes Lebensmittelangebot gab wie heute. Und das wird geschätzt und nachgefragt – in jedem Preissegment. Es ist ja, obwohl die Frage anderes suggeriert, beileibe nicht so, dass die KonsumentInnen mehrheitlich MasochistInnen sind, denen es völlig egal ist, was sie essen, solange es nur nicht viel kostet. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass die meisten Menschen schmackhaftes Essen auf ihren Tellern finden wollen – wobei Geschmack natürlich eine höchst subjektive Sache ist -, und dass sie folglich versuchen, das jeweils Beste zu kriegen, das im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten liegt.

Ariane: Ein anderes Thema, welches “Low Budget Cooking” ausmacht, sind die vegetarischen Rezepte. Was liegt Dir dabei besonders am Herzen?

Hedonistin: Nun ja, ganz vegetarisch ist LBC nicht, Fisch gibts ja gelegentlich. Ich bin aber keine Missionarin der (beinahe) vegetarischen Ernährung. Ich finds im Gegenteil ziemlich irritierend, wie ideologiebehaftet Essen in unserem Kulturkreis ist. Die meisten Nicht-VegetarierInnen essen ja auch nicht bei jeder Mahlzeit Fleisch, und vermutlich haben die meisten von ihnen auch eine Liste von Lebensmitteln, die sie partout nicht mögen und niemals essen würden. Bei sich selbst finden sie das ganz normal – warum ist es dann so schwer, andere Ernährungsgewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen bis hin zu Nahrungsmitteltabus zu akzeptieren? Der Mensch ist zweifellos ein Omnivore – aber dass er alles essen kann, heißt ja noch lange nicht, dass er auch alles essen muss. Was mir am Herzen liegt, ist also die Bereitschaft, andere Leute auch in kulinarischer Hinsicht nach ihrer Fasson selig werden zu lassen – vegetarisch, vegan, makrobiotisch, mit Steinzeit- oder Glyxdiät, mit Junk- oder Slowfood, egal -, statt die Küche zum Schlachtfeld eines Kulturkampfs zu machen. Kulinarische KreuzritterInnen sind mir ein bisschen unheimlich.

Ariane: Welche Foodblogs liest Du regelmäßig und was braucht ein Foodblog um Dein Interesse zu wecken?

Hedonisten: Alle, die in deinem Projekt vertreten sind – und noch viele, viele mehr. Ob ich einen Blog regelmäßig verfolge, ist zunächst eine Frage der Lesbarkeit, also rein optisch: Wenn sich die Posts in einem unübersichtlichen Layout verstecken und/oder alle paar Zeilen von Werbung unterbrochen werden, schreckt mich das eher ab. Tolle Fotos sprechen mich sehr an – manche Blogs hab ich nur deshalb abonniert -, sind mir aber weniger wichtig als die Texte: Die sind eigentlich das Hauptkriterium für mich. An puren Rezepten leide ich keinen Mangel, allein in meinen Kochbüchern hab ich mehr Reizvolles markiert, als ich in diesem Leben jemals nachkochen kann. Das Schöne an Foodblogs ist aber doch, dass sie – idealerweise – nicht nur den Blick in fremde Kochtöpfe bieten, sondern auch in die zugehörigen Küchen und Esszimmer. Dass sie also auch ein bisschen Stimmung und Atmosphäre vermitteln und ich als Leserin andere Herangehensweisen, Koch- und Essgewohnheiten kennen lernen und dank der sehr subjektiven und persönlichen Präsentation auch ein bisschen miterleben kann. Das finde ich mindestens ebenso inspirierend wie neue Rezepte.

Ariane: Wie würdest Du Dir eine Einladung zum Essen bei Familie Peppinello vorstellen und was würdest Du als Nachspeise mitbringen?

Hedonistin: Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Peppinella zu einem Potluck-Dinner einladen würde. :-) Aber wenn, dann ausgerechnet das Dessert mitbringen zu sollen – herrje, das müsste gut vorzubereiten und problemlos zu transportieren sein. Außer den ewigen Schichtdesserts, die bei solchen Gelegenheiten – ich sage nur: Schulveranstaltungen mit Buffet- angeboten werden, bleibt da eigentlich nur Kuchen oder Kleingebäck. Und ich würde mich hüten, Letzteres mitzubringen, schließlich hoffe ich, zum Espresso Peppinellas unglaubliche »Sfogliatelle riccie« knuspern zu dürfen. Würde sie die backen, wenn sie wüsste, dass ich mit Kuchen komme?
Andererseits weiß ich aus Peppinellas Blog, dass die Peppinellos Süßes lieben, Peppinella es aber nicht so gern zubereitet: klebrig, aufwändig – und dann in Windeseile verputzt. Ich würde also mit allergrößtem Vergnügen Peppinella in der Küche Gesellschaft leisten und je nach Gusto der Anwesenden – fruchtig? schokoladig? heiß? kalt? cremig? knusprig? – das Dessert zubereiten. Naja, eher wohl planlos und spontan improvisieren, wie‘s meine Art ist, und dabei heimlich beten, dass ich keinen Murks fabriziere und mit Schimpf und Schande vom Tisch gejagt werde.

Ariane: Vielen Dank für das Interview!

Im Oktober 2013 ist mein Buch »Foodblogs und ihre besten Rezepte« im Hädecke Verlag erschienen.



Gourmand World Cookbook Award Winner 2014 for Germany. Category »Blog«.



48 kulinarische Erzählungen und Rezepte von 12 deutschsprachigen Foodblogger/innen. Nachgekocht, fotografiert und genussvoll verzehrt von Ariane Bille. Konzipiert und kreiert als Buch, App und Blog.


Vice Content Network

»Das Buch bringt viele Perspektiven zusammen und kommt so der kulinarischen Bewegung im Web erstaunlich nahe – ihren Protagonisten und Motiven, der Kochlust samt Rezepten.« Valentinas-Kochbuch



Mizzis Küchenblock | Der Genussblog von Hädecke