Update Mai 2013: Alle Interviews, die hier im Blog zu lesen sind, habe ich für das erscheinende Buch in der Caramelized-App (Juni 2013) und im Hädecke Verlag (Herbst 2013) komplett überarbeitet und ergänzt. Hier im Blog sind sie noch in der alten Version zu lesen.
Listen, Lachs und Lussekatter – Ihr seid sicher neugierig auf das, was die Frau zu erzählen hat, die hinter Esskultur.at steht: Katharina Seiser.
Ariane: Katharina, Du bist freie Magazin-Journalistin, Kommunikationswissenschaftlerin, Köchin, Foodbloggerin, Kochbuchautorin und noch dazu professionelle Listen Schreiberin. Bitte erzähle mir die Entwicklung Deiner kulinarischen Leidenschaft, von Deiner Kindheit bis heute, in Form einer Liste.
Katharina: die vorfahrinnen – die gene alleine sind’s nicht
die kindheit – kulinarische erinnerungen
die schul- & studienzeit – offenbarungen
beruf – berufung, leidenschaft
Ariane: Wieso liebst Du Listen so sehr?
Katharina:
Ariane: Wie blickt man, mit Kommunikationswissenschaftler-Augen, auf den medialen Koch- und Esskultur-Hype und den gleichzeitigen realen grauen Alltag des stummen Conviniencekonsums? Wie passen diese Entwicklungen zusammen?
Katharina: interessante frage. du gibst dir einen teil der antwort schon in der formulierung deiner frage: es ist ein „medialer hype“. eine inszenierung, unterhaltung, quelle für werbeeinnahmen, ablenkung. der essens-boom in form von kochshows, kochbüchern, food blogs und monothematischen magazinen ist ja nicht die abbildung der wirklichkeit. die leute, die sich automagazine kaufen, haben auch nicht alle so ein ps-starkes, schnittiges modell, das sie gerne hätten. jene menschen, die sich kochshows anschauen, haben dafür vermutlich viele verschiedene gründe: entspannung, ablenkung, unterhaltung, vielleicht auch inspiration, voyeurismus, neugier. wenn sie alleine zuhause sitzen, haben sie während des fernsehens logischerweise keine zeit zum kochen (sie müssen ja fernsehen) und essen deshalb convenience food. es ist eine ganz klare prioritätensetzung: passiver medienkonsum ist nicht anstrengend, man kann ihn sogar mit der nahrungsaufnahme kombinieren. kochen ist manchmal anstrengend, oft stressig, in jedem fall aber kostet es zeit. und solange kochen nichts wert ist, weil der wert des essens in deutschland und österreich (da gibt es, auch wenn immer wieder vom feinkostladen österreich und der angeblich hohen wertigkeit, die das essen hierzulande genießt, nicht viel unterschied) nicht im alltag, in der (alltags)kultur verankert ist, solange wird sich daran auch nichts ändern. für mich widerspricht sich das überhaupt nicht, es erscheint mir geradezu logisch.
Ariane: Wo tankst Du die kreative Energie für Deine Arbeit, oder anders gefragt, wer oder was inspiriert Dich dafür in besonderer Form?
Katharina: mich inspiriert alles, was irgendwie mit essen zu tun hat: natürlich ein besuch auf einem gut sortierten markt, möglichst mit produkten aus der region, gemüse, früchte, kräuter, brote, angeschnittene käselaibe, specksorten, fisch und fleisch aus der gegend. gerüche ganz extrem, ich habe eine „hundsnase“, der leider auch schnell etwas zu viel ist oder stinkt. jedes neue gericht. jedes essen bei einer guten köchin, einem guten koch. jede möglichkeit, selbst zu kochen, hand anzulegen, etwas zu begreifen. jedes gute kochbuch und jede gut geschriebene kulinarische geschichte. jene food blogs und websites, die ich regelmäßig lese (viele davon sind teil deines projektes…). jedes gespräch mit jedem menschen, für den essen wertvoll und wichtig ist.
mich inspiriert so vieles, dass ich das gefühl habe, mein leben ist bei weitem zu kurz, um auch nur einigen der spuren bis zu ihrem ursprung folgen zu können oder auch nur einen bruchteil der ideen, die mir einfallen, umzusetzen. an inspiration mangelt es mir überhaupt nie. ich verzettle mich eher. manchmal würde ich mir eine art „ausnüchterungszelle“, eine reizarmen raum wünschen, um wieder irgendwie von diesem kulinarischen trip, auf dem ich seit rund zwei jahrzehnten bin, runterzukommen. andererseits will ich das gar nicht, sondern lieber noch viel tiefer eintauchen. sucht?
Ariane: Als Journalistin drückst Du Deine Hingabe zum Essen durch das Schreiben kulinarischer Texte aus und verdienst damit gleichzeitig Deine Brötchen. Wie bist Du 2007 auf die Idee gekommen mit Deinem Blog esskultur.at noch ein weiteres Medium zu bedienen, für dessen Arbeit Du nicht materiell entlohnt wirst? Welcher Aspekt hat Dich daran besonders gereizt?
Katharina: die antwort auf die vorige frage passt auch hier. es ist aber noch mehr: auf esskultur.at kann ich tun und lassen, was ich will. fast. manches kann ich nicht schreiben, weil es eben gleichzeitig auch mein beruf ist und ich mir natürlich nicht schaden will. aber grundsätzlich stimmt es schon: auf esskultur.at habe ich narrenfreiheit. wenn mir danach ist, zehn tage lang jeden tag eine liste zu schreiben, dann tue ich das. wenn ich lust habe, einen restaurantbesuch im noma in fünf teilen aufzuarbeiten – länger, als es je in einem magazin erscheinen würde –, dann tue ich das. wenn ich meine erfahrungen mit dem famosen no-knead-bread in jedem detail weitergeben will, dann tue ich das. wenn ich gar keine lust (eher: zu wenig zeit) habe, dann gibt es eben zehn tage keine geschichte.
und natürlich habe ich eine mission, die ist ja offensichtlich: leidenschaft fürs essen, für die zutaten, aus denen es zubereitet wird, für die menschen, die es zubereiten, für die landschaften, in denen die tiere und pflanzen wachsen, für das miteinander kochen, für die wertigkeit des essens wecken, anstacheln, anfeuern, informieren, adressen weitergeben, motivieren, munition gegen volksverblödung liefern, wachsamkeit fördern, widerspruch anregen – und vielleicht laden mich jetzt dann endlich auch ein paar meiner leser/innen zum essen ein. das wäre auch ein schöner lohn für die viele arbeit, fällt mir grade ein.
Ariane: Wie würdest Du einem Unwissenden die Foodblogosphäre erklären und wie würdest Du esskultur.at von anderen Foodblogs unterscheiden?
Katharina: foodblogosphäre: jene menschen, die überwiegend über das, was sie kochen, essen und trinken schreiben, dazu meist erfrischend unprofessionelle fotos (dafür von den wirklich wichtigen arbeitsschritten) hochstellen, die über ihr freud und leid mit rezepten berichten, die ihre erfahrungen gerne weitergeben und die in der regel auf fragen ihrer leser/innen detailliert und umgehend antworten. es wären die idealen online-kochbücher, würde man wissen, welche davon geschmack haben und welche nicht. ich tue mir da als profi natürlich leichter, das herauszufinden, und ich würde auch niemandem unterstellen, bewusst schlechte rezepte zu verbreiten, aber da draußen kursiert schon auch viel mist. das ist aber bei kochbüchern (die eben viel langsamer, meist viel weniger ausführlich – marcella hazan ist zum beispiel eine ausnahme, die liest sich für mich fast wie ein food blog – und ohne jegliche interaktionsmöglichkeit sind) nicht anders. bloß glaubt man da qualität zu kennen: gute, renommierte verlage bzw. bekannte namen. bei food blogs kristallisieren sich auch die heraus, die entweder wirklich gut sind oder aufgrund der schieren menge und des vielfältigen, gut präsentierten angebotes viele menschen ansprechen. die werden dann häufiger genannt, zitiert und verlinkt. was im umkehrschluss nicht heißt, dass weniger bekannte automatisch weniger gut wären.
esskultur.at lässt sich nicht so einfach einordnen, weil es kein reines kochblog ist. meine kulinarischen notizen sind sehr persönlich, gerne lang, (auch von mir) nicht vorhersehbar, unregelmäßig, oft störrisch und nicht gefällig genug, um allseits beliebt zu sein. mission: siehe oben. ich erlaube mir meine eigene meinung, bin dadurch aber auch viel leichter angreifbar als jemand, die oder der ausschließlich rezepte und/oder anonym postet. alle versuche, esskultur.at irgendwie systematischer zu gestalten, sind mir bislang schon in der planungsphase entglitten. diese website, dieses blog hat ein eigenleben entwickelt.
Ariane: Was zeichnet aus Deiner Sicht eine gute Foodblog-Geschichte aus?
Katharina: sie muss entweder a) schonungslos, selbstkritisch ehrlich und persönlich (aber bitte nicht eitel oder kokett) sein oder b) etwas mir wirklich neues erzählen.
wenn a), dann darf’s auch ein im grunde banales thema sein, dann interessiert mich der zugang, das, was passiert, der mensch, die sprache, die folgen. bestes beispiel: peppinella kocht dir was.
wenn b), dann ist es für mich eine informationsquelle und mir ist gar nicht so wichtig, wer der mensch hinter der geschichte ist und wie er tickt. das hat dann aber starke ähnlichkeit mit gut gemachten reportagen oder interviews, die wir aus den klassischen medien kennen. bestes beispiel: food curated. solche geschichten will ich sehen (obwohl ich bis vor wenigen wochen glaubte, nicht so der video-typ zu sein). klar fokussiert, leidenschaftlich, fast schon besessen von einem thema.
a) und b) treten selten gemeinsam auf. wenn doch: sternstunde.
Ariane: Was ist Dir am Bloggen sympathisch und was gefällt Dir weniger? Auch hier darfst Du in Form einer Pro und Contra-Liste abwägen.
Katharina:
pro
contra
Ariane: Wie ein paar Deiner Foodblog-Kollegen hast auch Du ganz frisch ein Kochbuch veröffentlicht. Herzlichen Glückwunsch dazu! Wie ist die Idee entstanden das Thema Wildpflanzen aufzugreifen und worauf können sich Deine Leser freuen?
Katharina: danke! ich würde hier gerne ausführlich über unser kochbuch „so schmecken wildpflanzen“ erzählen, aber: darf ich eine der ganz großen stärken der bloggerei nützen und auf ein ausführliches interview zum buch verlinken, das ich kürzlich www.valentinas-kochbuch.de gegeben habe? hier habe ich eh schon viel zu weit ausgeholt. wer einen blick ins buch werfen möchte: www.so-schmecken-wildpflanzen.at (auch diese website ist von mir). und natürlich kann man das buch auch auf esskultur.at bestellen.
Ariane: Wie sieht Deiner Meinung nach die Zukunft der Kochbücher im Hinblick auf die unzähligen Foodblogs und Kochforen aus? Wo siehst Du Chancen für Verlage mit kulinarischem Programm und was können sie aus Deiner Sicht von Foodblogs abgucken?
Katharina: dem kochbuchmarkt geht’s prächtig und daran wird sich so schnell nichts ändern. aber: die verlage sollten langsam munter werden. ich bin echt verblüfft, wie viel die meisten da noch vor sich haben. verlage (und viele meiner kolleg/inn/en aus dem printjournalismus) sind extrem schwerfällig und sehen die chancen und möglichkeiten von cross-/multimedia noch viel zu wenig. das fängt bei der präsentation der bücher im netz an: die wenigsten haben musterseiten oder leseproben online, was ich für dumm und kurzsichtig halte. von eigenen microsites o. ä. für bücher ganz zu schweigen. kaum jemand verschränkt die inhalte, wie wäre es mit zutatenlisten von rezepten aus gekauften kochbüchern fürs smartphone? mit foren, feedbackmöglichkeiten, gemeinsam mit dem publikum entwickelten inhalten, die das widerspiegeln, was wirklich gebraucht und gewünscht wird? verlage können von food blogs eine menge lernen, was service, schnelligkeit, interaktion und das eingehen auf leser/innenwünsche betrifft, dafür müssten sie sie aber erst mal ernst nehmen. (food blogs können von guten verlagen auch was lernen: redigieren, korrigieren, kürzen.)
Ariane: Stell Dir vor, Stevan Paul von Nutriculinary wäre zu Gast in Deiner Wiener Küche. Was würde ganz oben auf Deiner Einkaufsliste stehen und wie stellst Du Dir euer Beisammensein vor?
Katharina: keine einkaufsliste! wir gehen gemeinsam einkaufen, zu meinen lieblingsproduzent/inn/en auf dem karmelitermarkt und schauen, welches gemüse, welche kräuter, welche früchte, welcher fisch, welches fleisch gerade saison hat und dann entscheiden wir, was wir daraus kochen werden. wir kaufen (viel zu viel) ein, überlegen uns ein paar (wiener) weine dazu, holen die am besten direkt vom winzer – kombiniert mit einer kleinen verkostung. wir laden noch ein paar nette menschen ein (8 haben an unserem esstisch gemütlich platz) und dann kochen wir! stevan und der web- und sängermeister machen sich die playlist für den abend aus. und ehrlich gesagt bekomme ich jetzt ziemlich lust auf genau diese kocherei. was so eine frage von einer grafikdesignstudentin, die ihre diplomarbeit über food blogs schreibt, alles auslösen kann. danke. das mag ich an food blogs.
Ariane: Katharina, vielen Dank für das Interview!
Fotos: Horst Lamnek
und ob wir neugierig waren ! Gut gefragt, gut geantwortet !
… und wie immer – unter der Oberflaeche schuerfend! Du moechtest von deinen Lesern zum Essen eingeladen werden? Ja, bitte gerne: du bist willkommen!
robert: am liebsten hätte ich noch viel mehr gefragt!
eline: da hoffe ich, dass einer von euch beiden bericht erstatten wird!
[…] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Hofgut Goennheim erwähnt. Hofgut Goennheim sagte: Interview mit Foodbloggerin @esskultur.at http://ht.ly/1IK2o #Genuss #Blog #Kulinarik […]
[…] kulinarische momentaufnahmen – einem diplomprojekt von grafikdesignstudentin ariane – ein interview mit mir zu entdecken, ein sehr langes (ich bin schuld), in dem es um esskultur.at, food blogs und meine […]
Ein super Interview. Dankeschön für diesen schönen Überblick deiner Biografie.
danke, liebe ariane, für die spannenden (und natürlich ein wenig provokanten) fragen – und danke robert, eline, sandra & allen anderen fürs geduldige bis-zum-ende-lesen. mir hat’s spaß gemacht, ein wenig hinter die kulissen blicken zu lassen.
eline, dein angebot freut mich ganz besonders – ich habe es mit freude gesehen, gespeichert und werde mich, wenn ich dann noch darf, bei meinen nächsten oö-reiseplänen bei dir melden.
[…] ich insgesamt elf Tage aus der Kochzauber-Box, Schlemmertüte und Hello Fresh-Box gekocht. Dank Katha, die letzte Woche ein ähnliches Koch-Abo-Konzept vorgestellt hat, fiel mir ein, endlich mal einen […]
Im Oktober 2013 ist mein Buch »Foodblogs und ihre besten Rezepte« im Hädecke Verlag erschienen.
Gourmand World Cookbook Award Winner 2014 for Germany. Category »Blog«.
48 kulinarische Erzählungen und Rezepte von 12 deutschsprachigen Foodblogger/innen. Nachgekocht, fotografiert und genussvoll verzehrt von Ariane Bille. Konzipiert und kreiert als Buch, App und Blog.
»Das Buch bringt viele Perspektiven zusammen und kommt so der kulinarischen Bewegung im Web erstaunlich nahe – ihren Protagonisten und Motiven, der Kochlust samt Rezepten.« Valentinas-Kochbuch