Kulinarische Momentaufnahmen
Wednesday, 18. May 2016 - von Ariane

Kulinarische Reisepost aus Japan 7: Banana Yoshimoto und ein Thai-Restaurant in Shimokitazawa

Ich reise allein durch Japan und Südkorea! Damit ich mich nicht einsam fühle, teile ich meine Reiseeindrücke und Gedanken mit meinen Lieblingsmenschen. Heute erzähle ich Luisa von meinem letzten Tag in Tokio, einem Bummel durch das kleine Bohème-Viertel Shimokitazawa und warum ich nach 4 Wochen Japan und Südkorea meinen letzten Abend in einem Thai-Restaurant verbracht habe.

Liebe Luisa,

auch wenn meine Reise durch Japan und Südkorea schon längst vorbei ist, bekommst du heute verspätete Reisepost von mir. Schließlich kommen Postkarten auch oft erst nach dem heimkehrenden Reisenden an. Und gerade dann freut man sich über die unverhoffte Post, stimmt´s?

Während meiner Reise musste ich oft an dich denken. Keine meiner Freundinnen ist so oft und lange alleine auf Reisen gegangen – irgendwie hast du da eine Art Vorbildfunktion für mich. Ich glaube, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre einen Monat alleine zum anderen Ende der Welt zu reisen, wenn wir uns vor sieben Jahren nicht kennengelernt hätten.

Aber auch an unsere gemeinsamen Reisen musste ich immer wieder denken. Oft waren es unverhoffte, seltsame und schräge Momente, in die ich einfach so herein gestolpert bin.

Zufällige Momente die mir für immer in Erinnerung bleiben werden

Wie auf unserer Azoren-Reise, als wir mitten im Winter als einzige Touristinnen auf dem erloschenen Vulkankrater der Insel Corvo von einem portugiesischen Fernsehteam gefilmt wurden. Oder das einsame Weihnachtsessen in Granada mit unserem Couchsurfer Todor, der schrecklichen Liebeskummer hatte. Oder Madeira! Kannst du dich noch an die viel zu vollen Gin-Gläser unseres letzten Abends in Funchal erinnern? Der betrunkene Franzose, der nicht aufhören konnte von seiner gescheiterten Ehe zu schwafeln und uns dabei immer wieder Gin nachschenkte. Die pochenden Kopfschmerzen, mit denen wir am nächsten Morgen im Taxi Richtung Flughafen saßen hielten uns wunderbarerweise  nicht davon ab im Duty-free Madeirawein und andere alkoholische Substanzen für unsere Daheimgebliebenen kaufen.

All diese Momente waren so besonders, weil sie ungeplant waren. Weil sie immer dann passiert sind, wenn wir uns treiben lassen haben und kein richtiges Ziel hatten.

So habe ich auch viele Tage meiner Reise in Japan verbracht. Die Tage, an denen ich am wenigsten vor hatte waren immer die ereignisreichsten.

Planlos in Shimokitazawa

Deswegen habe ich mich auch entschieden den letzten Tag meiner Reise in Tokio planlos zu verbringen. Mein einziges Ziel war der kleine Stadtteil Shimokitazawa, über den ich so viel in Banana Yoshimotos Buch Moshi Moshi gelesen habe.

Nur ein paar Bahnstationen von Shinjuku entfernt tauche ich in Shimokitazawa, abseits der Massen die sich in Shinjuku und Shibuya tummeln, in eine kleine, charmant lässige Nachbarschaft ein. Indie-Plattenläden, Secondhand-Läden, kleinen Galerien, französischen Bistros, italienischen Trattorias oder japanische Soba-Restaurants – das Bohème-Viertel ist bunt, vielfältig und zieht Studenten, Musiker, Designer, Schriftsteller, also alle Lebenskünstler Tokios an. Gerade durch seine außergewöhnlichen Bewohner versprüht Shimokitazawa eine lebendige und auch ein bisschen verrückte Atmosphäre.

Ein Thai-Restaurant in Tokio

Verrückt sieht auch das kleine Thai-Restaurant Tit Chai aus, an dem ich an diesem stürmischen Nachmittag entlang schlendere. Der Wind pustet mir um die Ohren, mich fröstelt´s und ich möchte im Warmen sitzen um mein Buch weiter zu lesen. Außerdem habe ein bisschen Hunger – warum also nicht mal in ein Thai-Restaurant in Tokio gehen? Ich weiß, ich bin in Japan und außerdem ist heute mein letzter Tag. Aber das kleine Lokal zieht mich irgendwie an und kaum habe ich mich versehen, sitze ich auch schon drin.

  • Tit Chai
    Japan,〒155-0032 Tokyo, Setagaya, Daizawa, 5−29−8

Ich bestelle einen Papaya-Salat und mache es mir in der Ecke an einem der kleinen Holztische neben einem dicken gestreiften Kater bequem. Nein, dass hier ist kein Katzen-Café. Das hier ist ein Thai-Restaurant und ich freue mich, dass ich jetzt trotzdem einen Haken an „Einmal in ein Katzen-Café gehen“ machen kann.

Luisa, mit dir zusammen wäre ich wahrscheinlich jeden Tag in einem anderen Katzen-Café gelandet. Aber während meiner ganzen Reise hat sich das einfach nicht ergeben. Umso besser, dass ich am letzten Tag noch mal ein Gefühl davon bekomme.

Em heißt mein schnurrender Tischnachbar, erzählt mir die Frau die an der Theke sitzt. Als mir die schrill gekleidete Kellnerin den Papaya-Salat reicht, will sie wissen wie ich hier her gefunden habe.

Moshi Moshi

Ich erzähle ihr Buch von Banana Yoshimotos neuem Buch. Moshi Moshi heißt es und handelt von Yoshie, einer jungen Japanerin, die nach dem Selbstmord ihres Vaters zusammen mit ihrer Mutter nach Shimokitazawa zieht und dort langsam wieder ein neues Leben beginnt. Shimokitazawa ist ihre Rettungsinsel und deswegen bin ich hier. Ich will mir das Viertel angucken. Im Tit Chai bin ich nur zufällig gelandet.

Ich probiere den duftenden Papaya-Salat. Er schmeckt aromatisch nach Papaya und Limette, nach einem Hauch Fischsauce und ist ganz frisch zubereitet. Dazu esse ich aus einem runden Bast-Körbchen warmen Klebreis.

Hinter der Theke kommt eine in Super Mario-Latzhose gekleidete, blondierte kurzhaarige Japanerin hervor. Ihr hübsches Gesicht strahlt mich an. Miyuki ist die Köchin und Besitzerin des Tit Chai und verrät mir geheimnisvoll, dass Banana Yoshimoto noch gestern hier zum Mittagessen gewesen ist. Das Tit Chai spielt nämlich eine kleine Rolle in Moshi Moshi, es ist der Laden in dem Yoshies Mutter immer den Papaya-Salat bestellt. Verdutzt gucke ich Miyuki an. Wie jetzt? Wirklich?

Wir müssen beide lachen und dann beginnt Miyuki Orte in Shimokitazawa aufzuzählen, die in Yoshimotos Buch vorkommen. Tukimasa, der kleine Tee-Laden den es schon Ewigkeiten in Shimokita gibt und in dem Yoshies Mutter als Kellnerin arbeitet, ist gleich um die Ecke. Das französische Bistro, in dem Yoshie arbeitet, ist mittlerweile umgezogen, so wie es auch am Ende des Buchs angedeutet wurde. Ich dachte ja, die Geschichte wäre Fiktion! Die Orte anscheinend nicht und ich freue mich darauf, gleich in den kleinen Teeladen zu stürmen um die letzten Mitbringsel für meine Lieben zu Hause einzukaufen.

Vorher frage ich Miyuki aber erst mal, wie sie überhaupt dazu gekommen ist in Shimokitazawa ein Thai-Restaurant zu eröffnen. Kochen hat sie gelernt, während sie in einem Restaurant gearbeitet hat. Auf ihren vielen Reisen nach Thailand wuchs die Liebe zur thailändischen Küche und die Idee ein eigenes Lokal in Shimokitazawa zu eröffnen, wo sie sich kreativ austoben kann.

Ihre zweite Leidenschaft ist Musik. Miyuki spielt in einer Band, baut Instrumente aus alten Waschbrettern und tobt sich in jeder Lebenslage kreativ aus. Die handgemacht kunterbunte Einrichtung des Tit Chai lässt erahnen, was in Miyukis kreativem Kopf abgeht und das lebt sie natürlich auch in der Küche aus. Die Speisekarte des Tit Chai lässt keinen Wunsch offen: Von traditionellen thailändischen Nudelgerichten wie Pad-Thai (gebratene Nudeln) oder Pad-Ki-Mao (gebratene, scharfe Bandnudeln mit Gemüse und Meeresfrüchten), diversen thailändischen Salaten, Nudelsuppen oder Curries ist für jeden Geschmack was dabei. Alles wird ganz frisch gekocht und es gibt auch einige vegane oder vegetarische Gerichte. Du wärst also auch glücklich geworden, Luisa ;)

Mein thailändisches Abschiedsessen in Tokio

Ziemlich glücklich – das bin ich auch als ich nach meinem Einkaufsbummel durch Shimokitazawa mit Blümchen-Teedosen, Matcha-Tee und diversen Secondhand-Kleidern zum Abendessen wieder ins Tit Chai gehe und mich dort gleich wie zu Hause fühle. Nach 4 Wochen Japan und Südkorea findet mein Abschiedsessen also in einem Thai-Restaurant in Tokio statt – wer hätte das gedacht?

Ich bestelle Sake und setze mich neben einen jungen Kerl, mit dem ich mich gleich in ein langes Gespräch verwickele. Er ist Thailänder, verrät mir seine Lieblingsstrände in Thailand und schwört auf Miyukis selbstgekochtes Essen. In Shimokitazawa lebt er seit ein paar Jahren, arbeitet als Übersetzer, Designer und Illustrator – noch so ein Lebenskünstler!

Aber sind wir das nicht alle? Ich jedenfalls bin jeden Tag dankbar für Lebenskünstler-Dasein. Das Leben lässt sich nämlich genauso wenig bis ins letzte Detail planen wie eine Reise. Es sei denn, man hat keine Lust auf die Überraschungen die das Leben erst lebendig machen.

Ach Luisa, ich bin gerade erst zurück aus Japan und schmiede schon wieder neue Reisepläne. Wird Zeit, dass wir mal wieder zusammen losziehen. Aber jetzt bleibe ich erst mal in Berlin, hier gibt´s nämlich auch jeden Tag was neues zu entdecken!

Deine Ariane

Kulinarische Reisepost aus Japan

Im Oktober 2013 ist mein Buch »Foodblogs und ihre besten Rezepte« im Hädecke Verlag erschienen.



Gourmand World Cookbook Award Winner 2014 for Germany. Category »Blog«.



48 kulinarische Erzählungen und Rezepte von 12 deutschsprachigen Foodblogger/innen. Nachgekocht, fotografiert und genussvoll verzehrt von Ariane Bille. Konzipiert und kreiert als Buch, App und Blog.


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»Das Buch bringt viele Perspektiven zusammen und kommt so der kulinarischen Bewegung im Web erstaunlich nahe – ihren Protagonisten und Motiven, der Kochlust samt Rezepten.« Valentinas-Kochbuch



Mizzis Küchenblock | Der Genussblog von Hädecke